Corpus Cantilenae IV – „dereliquit me virtus mea“
Zwei bestimmende Figuren nennt Burmeister für diesen Abschnitt. Einmal die Pathopoeia und die Hypobole. Durch die Pathopoeia fließen Elemente des chromatischen Genus ein und färben bzw. destabilisieren für kurze Zeit die phrygische Grundtonart, bevor die letzte Wendung als klare Mi-Kadenz die Verhältnisse wieder herstellt. Wichtig scheint in diesem Zusammenhang vor allem das Erhöhen des f zum fis gleich zu Beginn, womit die typische phrygische Sekunde ausgehebelt wird. Außerdem wird kurz darauf das h, das Bestandteil des zweiten wichtigen Halbtonschritts h-c ist, durch ein b ersetzt.
Eine weitere und vielleicht die am deutlichsten wahrnehmbare Veränderung des tonartlichen Gefühls ist die Verwendung des b in Tenor und Bassus bei „dolor meus“. In diesem Abschnitt wird der phrygische Modus auf e komplett verlassen. Isoliert betrachtet wäre hier fast eine transponierte Skala zu vermuten.
Die Hypobole, das deutliche Unterschreiten des Ambitus im Bass ganz am Ende des ersten Teils auf „mea“, ist der Schlusspunkt unter der grundsätzlichen Absenkung des gesamten Tonraumes. Das „Verlassen der Kräfte“ findet in dieser Setzweise ein musikalisches Pendant.