Fuga realis

De I. Fuga realis.

[57] Fuga Realis φυγὲ οὐσιὼδες est talis Harmoniae habitus, in quo omnes Harmoniae voces aliquam alicujus vocis in suo conjugio affectionem imitantur intervallis ijsdem vel paribus. Quam compositionem velut [memimemenon], tam in exordijs cantilenarum, quam in medio exhibere liberum est. Apud Orlandum habetur exemplum in Legem pone mihi quinque vocum quod unum pro multis examinari et perpendi, ac in usum transferri potest. Die Fuga realis ist eine so beschaffene Art der Harmonia, bei der alle Stimmen einer Harmonia die bestimmte Wirkung einer Stimme entweder mit denselben Intervallen oder mit ähnlichen imitieren, indem sie sich mit ihr verbinden. Es steht frei, diese Art der Komposition oder memimemenon sowohl am Beginn eines Stückes (Exordium) oder in der Mitte anzuwenden. Bei Orlando (di Lasso) gibt es ein Beispiel in Legem pone mihi zu fünf Stimmen, welches als ein Beispiel für viele geprüft, genau untersucht und in den eigenen Gebrauch überführt werden kann.

Die Fuga realis ist die Figur die Burmeister am ausführlichsten darstellt. Seine Beschreibung zeigt die Nähe der Figurenlehre zur formalen Disposition eines Stückes mit am deutlichsten. Burmeister stellt zunächst ein Thema:

PRAXIS Fugæ Realis.

Melodia imitativè ruminanda prius producitur. v. g. sit hæc melodia in Fugam vertenda: Zuerst überlegt man sich eine Melodie, die imitatorich wiedergekäut werden soll. Zum Beispiel soll nun diese Melodie in eine Fuga verwandelt werden:

 

 

Dieses Thema wird auf verschiedenen Tonstufen und Stimmen verteilt.

Ea prius in charta vel assere scribendo ponitur & extenditur. Deinde habitâ ratione determinationis Modorum & formationis Clausularum vox μιμητικὴ eidem substernitur eò loci, ubi quam primum alicui ex reliquis vocibus pro concentuum convenientiâ licebit. Post reliquarum vocum quæ continuant imitamen, aliæ alijs substernuntur, sicut monstratum est antè. Hoc pallàm faciemus in quatuor vocum ἔμμελέιᾳ, ubi hanc divisionem vocum in Fugis prius fecerimus. In Fugis Vox alia dicitur προφοωνεούσα; alia ὑστρόφωνα. Vox, quæ Melodiam producit in Fugam convertendam, est illa, quæ dicitur προφωνεούσα, ut ea, quæ primô locô Fugæ affectionem adornat. Quæ autem inter reliquas, ποσφωνεούσα sit, perinde est. Ὑστροφόνα est, quæ affenctionem Fugam parantem, ruminat, ut ea quæ posterior editur. Ὑστρόφωνα tam multiplex fit, quam multas Fuga representat voces, quarum prima dici potest πρῶτη, subaudi ὑστρωόφωνα; Secunda δευτέρα; tertia τρίτη &c. His ita positis exemplum Realis Fugæ hoc esto. Dieses Thema wird zuerst auf ein Papier oder Brett schreibend gesetzt und erweitert. Darauf wird je nach Art der Modusbeschaffenheit und der Bildung der Klauseln eine Stimme diesem Thema nachahmend hinzugesetzt an der Stelle, wo es einer der übrigen Stimmen möglichst früh in Übereinstimmung mit der Konvention des Zusammenklangs erlaubt ist. Danach werden die anderen Stimmen den übrigen untergesetzt, die die Nachahmung der übrigen Stimmen fortsetzen, wie vorher bereits gezeigt. Dies wollen wir einmal vor aller Augen durchführen in einem Wohlklang aus vier Stimmen, wobei wir die vorige Einteilung der Stimmen in einer Fuga benutzen wollen. In Fugae wird eine Stimme Vorsängerin (Dux) die anderen Nachsängerinnen (Comes) genannt. Die Stimme welche die Melodie vorträgt, die dann einer Fuga zu Grunde liegen soll, nennt man Vorsängerin (Dux), wie diejenige, die an erster Stelle der Fuga die affectio ausschmückt. Die Stimme zwischen unter den übrigen aber, die eine Vorsängerin sei, ist es auf eben solche Weise. Die comes-Stimme ist diejenige, welche die affectio, welche die fuga ausmacht, wieder aufnimmt, wie eine, die später herausgegeben wird. Eine comes-Stimme wird auf vielfältige Weise realisiert, so wie eine fuga sich aus vielen Stimmen zusammensetzt, deren erste man prote nennen kann, comes-Stimme mag dazu ergänzt werden. Die zweite Stimme kann deutera und die dritte trite usw. genannt werden. Wenn man das so aufschreibt, entsteht dieses Beispiel einer fuga realis.

Der nächste Schritt besteht aus der Auffüllung der leeren Stellen. Burmeister kommentiert diesen Schritt folgendermaßen: „Die […] leeren Stellen werden mit […] geeigneten Tonbuchstaben ausgefüllt, wobei man spontan und ohne große Mühe dem Anwachsen der Syntax folgt, und zwar in dieser Weise:“ (Burmeister 2004, S. 142)

[58] Vacua ulterius loca aptis et appositis concordibus conjugatis characteristicis sonorum complebuntur, quô spontaneum, vix cum labore, incrementum consequetur syntaxis, hôc môdo: Die leeren Stellen werden darüber hinaus mit geeigneten und bereitgestellten Konsonanz vervollständigt, die mit den entsprechenden Eigenschaften der Klänge verbunden sind, wobei die Ergänzung kaum mit Arbeit verbunden ist, wie von selbst geht und einer Syntax folgt, wie man hier sehen kann:
Aptæ et appositæ sonorum conjugatæ locis concordantibus vacuis imponendæ, non omnes sunt appositæ, sed eæ, quæ ex bona intervallorum consequentiâ aptæ in Melodia fiunt. Fiunt autem aptæ, si intervalla sonorum non introducuntur nimis remota, præsertim in superioribus vocibus. Quô enim propiores fuerint in ijs gradus intervallorum, hôc elegantior exstiterit Melodia, et Harmonia laboris non eguerit multum. Die geeigneten und bereitgestellten Stimmen, die an den leeren Stellen durch Konsonanzen verbunden sind, müssen gesetzt werden, nicht alle stehen zur Verfügung, aber diejenigen, die dazu geeignet sind, zu einer gute Intervallfolge in der Melodie beizutragen. Sie sind aber dann geeignet, wenn keine allzu großen Intervalle zwischen den Tönen liegen, besonders in den oberen Stimmen. Je näher aber die Intervallschritte in den Stimmen sin können, um so eleganter ist die Melodie und die Harmonia bereitet nicht viel Mühe.
Exempla sunt, 1. apud Ivonem de Vento in Ite in orbem universum quinque vocum. 2. apud Franciscum de Rivulo, in Sic Deus dilexit mundum sex vocum. 3. apud Pevernagen Cor mundum crea in me Deus sex vocum, et apud alios perplurima. Beispiele gibt es 1. bei Ivo de Vento in Ite in orbem universum zu fünf Stimmen; 2. bei Franciscus de Rivulo in Sic Deus dilexit mundum zu sechs Stimmen und 3. bei Pevernage in Cor mundum crea in me Deus zu sechs Stimmen, und bei unzähligen anderen Komponisten.