Exordium

Das Exordium ist mit einer Fuga realis und einer Hypallage gestaltet (vgl. auch die Einträge bei den Figuren). Es endet mit einer phrygischen Kadenz nach e, was Burmeister als Clausula vera, als „wahren Abschluss“, bezeichnet. Der erste Teil des corpus cantilena schließt in den Mittelstimmen sofort an.

An der Fuga sind alle Stimmen beteiligt, wenn man Originalgestalt und Umkehrung des Soggettos als volle Einsätze auffasst. Da mit der Originalgestalt des Soggettos in manchen Stimmen eine deutliche Überschreitung des normalen Ambitus einhergeht (vgl. 2. Einsatz des Bassus), bietet die Umkehrung hier eine satztechnisch günstige Alternative. Durch die Verwechslung der Sexte abwärts in das komplementäre Intervall einer Terz aufwärts vermeidet Lasso das Entstehen einer Quarte zu tiefsten Stimme (Vgl. erste Abb.). Durch die Modifikation geht der charakteristische Sextsprung also verloren und macht die Umkehrung trotz der großen Nähe zu einem als eigenständig wahrnehmbaren Soggetto.

Cantus, Tenor und Bassus erhalten zwei Soggetto-Einsätze, wobei nur der Bassus beide Gestalten des Soggettos bekommt. Die phrygische Kadenz auf e stabilisiert am Ende des Exordiums die Tonart des Stücks:

Das markante Merkmal des Fugen-Soggettos ist die kleine Sexte. Während des Exordiums taucht dieser Intervallsprung permanent in verschiedenen harmonischen Kontexten auf und prägt als melodisches Element den ersten Teil. Die kleine Sexte als ein typisches Intervall des phrygischen Modus erzeugt hier die klagende und bittende Haltung, die in auch den Psalmtexten zum Ausdruck kommt. Der Sprung der kleinen Sexte tritt auch im weiteren Verlauf der Motette an Stellen auf, an denen es um Leid und Schmerz geht. Der Anschluss von der Phrase „dolor meus“ im Tenor (Corpus Cantilenae IV) ist z.B. ganz deutlich mit der kleinen Sexte gestaltet.

Ein weiteres Ausdrucksmittel zur Gestaltung des Textes ist die Verwendung einer Parrhesia, einer dissonanten Durchgangsnote auf Halben-Ebene (oben gepunktet markiert). Die verwandte Figur des Symblema tritt ebenfalls auf, wenn der Bass den Einsatz des Tenors in Takt 16 austerzt (siehe oben die Markierung des Symblemas).